Am Ende geht es um Emotionen. Einer, der vielleicht ein Lied davon singen, auf jeden Fall einen Film davon drehen oder ihn zumindest zeigen kann, ist Jan-Per Sellmer, Theaterleiter von Kiels größtem Kino, Cinemaxx. Er will in andere Welten abtauchen und vor allem andere darin abtauchen lassen.

Jan-Per Sellmer, Theaterleiter Cinemaxx: zuständig für Management, Marketing, Controlling, Personal, Logistik: „Der Tag verfliegt.“
Die Hoch-Zeit des Kinos war in den 30er Jahren. Dieser Hype ist in Jahren von medialem Overflow und vielfältigen anderen Zerstreuungsoptionen lange vorbei. Zur Eröffnung des Cinemaxx Kiel 1995 saßen immerhin noch eine Million Besucher auf roten Plüsch-Sesseln. Seither geht es meist dann richtig hoch her, wenn Blockbuster wie Harry Potter, James Bond, der Herr der Ringe oder – wie ab Dezember – Star Wars über Großleinwände flimmern und Actionhelden im Mega-Format fürs Geld ballern. Muss nicht immer mit Waffen sein, geht auch mit Worten, wie Fack Ju Göhte beweist. „Wobei der zweite Teil sogar mehr zieht, als der erste“, verrät Theaterleiter Sellmer, der den Popcorn-Mainstream-Streifen teilweise stündlich in vier Sälen parallel gezeigt hat.
Das beweist, dass das Home-Entertainment-Segment mit Filmen frei Haus von Amazon Prime, Netflix und Co dem Kino nicht den Rang abgelaufen hat. „Starke Zeiten erleben wir besonders, wenn etwas aus dem Family-Entertainment raus kommt“, sagt der Herr der Filme in Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt. Nicht nur Kuschel-Humor, auch Horror ist beliebt. Sellmer bedient alle Genres, zeigt in Kiels größter Leinwandspielstätte 30 Filme pro Woche, sukzessive rücken in den zehn Sälen vier bis sechs Filme nach, im Jahr sind es 200. Die meisten sieht der Kino-Chef sich an, weil er Filme liebt, aber auch, „um zu wissen, was läuft“. Mitreden kann er also. Nur was die Auswahl angeht, nicht: „Das wird im Konzern entschieden und richtet sich danach, was der Verleih rausgibt. Nicht zeigen geht nicht, zusätzlich schon.“
Bis vor zwei Jahren noch auf Spule
Sellmer ist vor 25 Jahren, während des Studiums, zum Kino gekommen, wie er erzählt. Seit 1990 hat der heute 45-Jährige in der Traum GmbH als Projektionist gejobbt, Filme eingelegt. „Das reine Handwerk.“ Lange Zeit hat sich rein technisch wenig verändert, bis vor zwei Jahren kam das Material für unbeschwerte Stunden nicht auf Festplatte sondern auf Spule: „Mit Löchern an der Seite, fünf Kilometer lang, zum Zusammenkleben an den Enden.“ Im Kino ist die Zeit irgendwie ein bisschen stehen geblieben.
2009 kam der erste 3D-Digitalfilm raus, Avatar, die Geschichte mit blauen Alter-Egos, die sich zweieinhalb Stunden durch den Urwald schießen. Eine Mischung aus Action gepaart mit Science Fiction, Romantik, Weltschmerz und einem Hauch Philosophie. „Was wäre wenn…“: Tiefes Abtauchen in Fantasiewelten, intensives Blau, große Emotionen, alles ganz nah. Vor allem: Der Durchbruch der dreidimensionalen Sitz-Session mit riesigen Brillen, die bundesweit Kinosäle in Brutstätten von „Puck, Die Stubenfliege“ verwandelten. „Ein großer Film“, sagt Sellmer, der von einem guten Streifen verlangt, „dass alles passt – von der Dramaturgie bis zur Musik.“ Sein persönliches Interesse ist breit gefächert, ihm kommt zugute, dass ihn „Geschichten interessieren“. So sehr, dass er sie sogar studiert hat, an der CAU in Kiel, außerdem Medienwissenschaften und Literatur. „Ich wollte immer im weitesten Sinne in die Kultur“, das ist dem Theaterleiter auch gelungen.
Kiels Vorlieben: Ladies Night und türkische Filme
„Kino ist gewissermaßen Theater auf der Leinwand. Vor allem heute, wo Kino mehr als Kino ist. Nur Abspielstätte sein, war gestern. Heute stehen wir in Konkurrenz zu allem anderen im Freizeitbereich.“ Deswegen gibt es alles Mögliche von Schul-Vorführungen bis zu Rammstein-Übertragungen. In der landesweiten Schulkino-Woche vom 21. bis 27. November, wo der Film „dreifuffzig“ kostet, wird Kino mit Lernen verbunden. Beliebt sind Specials wie „Männerabende“ und die „Klexxi-Sause“ mit Bastel- und Mal-Rahmenprogramm für die Jüngsten. Spektakulär sind Live-Übertragungen von Konzerten (nächstes: Ed Sheeran am 22. Oktober direkt aus London), Ballett und Klassik. Der „Renner“ seien in der Fördestadt türkische Filme, „da ist die ganze Familie dabei.“ Kiel hat weitere Vorlieben: „Ein Film über Stand-Up-Paddling könnte hier laufen, Karneval nicht.“ Was mehr an der Förde einspielt als überall sonst in Deutschland, ist die Ladies Night.

Impression aus dem Film
Avatar – Aufbruch nach Pandora.
Family-Entertainment, wie Ice Age in allen Fortsetzungen, seien überall Kassen-Schlager. Für Sellmer wichtig, weil sich Blockbuster-Potenzial direkt in Zahlen niederschlägt. „Wenn ich weiß, dass der Verleih die kommenden Jahre sechs Folgen von Star Wars rausgibt, weiß ich, dass wir die nächsten sechs Jahre gut davon haben.“ Star Wars bietet Planungssicherheit wie einst Harry Potter, der Herr der Ringe oder seit Generationen James Bond. Der Sommer ist meist eher mau. „Da hat sich als erstes der Weiße Hai getraut“, weiß Sellmer. Der schnappte erfolgreich nach Badegästen und auch Ice Age schwamm auf der Juli-Welle. Sonst starten die cineastischen Bestseller eher in der dunklen Jahreszeit. Wenn die Cineasten schlau sind, nicht zur selben Zeit. „Niemand wagt sich an James Bond, was zeitgleich läuft, geht unter.“
Sellmer hat das alles miterlebt, blieb studienbegleitend bis 1999 in der „Trauma“, wechselte dann ins Cinemaxx, zuerst in studentischer Teilzeit wieder als Projektionist, mit dem Magister kletterte er die Karriereleiter rauf, wurde Theaterleiter-Assistent. Vor vier Jahren, als die Zeit der Digitalisierung Fahrt aufnahm, ging es ganz nach oben. Privat lebt er gemütlich, lässt seine beiden Jungs, zwei und fünf, auf dem Dorf aufwachsen. In Großbarkau, wo alles ganz klein ist, kein Laden, kein Bäcker, immerhin ein Briefkasten, dafür viele Kühe und Pferde. „Ich liebe das Landleben“, sagt der Kino-Mann. „Fahre schon mal Trecker, helfe beim Kuhstall-Bau.“ Und täglich taucht er ab in die große weite Welt der Leinwand und der 3D-Digital-Inszenierungen.